Bettina Köhler - kunsthistorikerin
Bettina Köhler - kunsthistorikerin

Als freie Autorin möchte ich nach langjähriger Tätigkeit an gestalterischen Hochschulen den Kanon wissenschaftlichen Schreibens verlassen. Es interessiert mich, das Gefühl der Empathie auszuloten. Ich möchte Begegnungen mit historischen wie lebenden Künstlerinnen und Architekten und ihren Werken, also Begegnungen mit Figuren der Malerei, der Skulptur, der Fotografie, der Zeichnung aber auch mit Räumen und Häusern in Gespräche verwandeln. So wie ein Gespräch und selbst ein Streitgespräch auf Empathie basieren muss, so braucht die notwendige, geduldige Recherche zur rationalen Sinnlichkeit von Kunst und Architektur, von Design und Gestaltung Zuneigung. Folge ich der Idee des Gesprächs als Vorbild für Texte, dann entsteht etwas, das ich fiktionale Sachliteratur nennen könnte.

Die Art und Weise, wie ich sachliche Recherche, Beobachtung und Interpretation verstehe und aufschreibe, wurde durch das Studium von Kunstgeschichte, Klassischer Archäologie und Städtebau an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn zu Beginn der achtziger Jahre entscheidend geprägt. Der weitere Weg des Schreibens und der Lehre folgte aber auch dem, was der Architekt Karl Friedrich Schinkel „die spekulative Phantasie“ nannte. Entscheidend hierfür war sicherlich, daß ich an Institutionen gearbeitet habe, in deren Zentrum eine entwerfende Tätigkeit stand. An der ETH Zürich war dies die Architektur und an der FHNW / Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel das Mode-Design. Fakten und Phantasie gehören zusammen, und deshalb stand in der Lehre die Einladung an das Gegenüber, frei von ideologischen Vor-Urteilen selbst genau zu schauen und zu verstehen, im Zentrum. Die im Laufe der Zeit erforschten und in der Lehre vermittelten Themenfelder grundieren bis heute die Perspektive meines Schreibens: die Geschichte der Architekturtheorie in der Auseinandersetzung mit dem Begriff des Raumes, die Innenarchitektur mit ihrer engen Verknüpfung von Kunst, Material und Atmosphäre, die Kulturgeschichte des Komforts, die Geschichte der Körperlichkeit in der Spiegelung durch Posen und Haltungen und das verwandte Thema des Mode-Entwurfs. Schließlich gab der Auftrag des Mode-Institutes der HGK-Basel, regelmäßig Exkursionen nach Usbekistan für das zweite Studienjahr zu konzipieren und durchzuführen, den entscheidenden Impuls für ein großzügigeres Verständnis der engen Verbindung zwischen Textil, Ornament, Architektur und Innenraum. Auch die Wahrnehmung der ästhetischen und ökonomischen Bedeutung klimagerechter Architektur wurde in den historischen Stadträumen von Buchara, Samarkand und Chiwa in eine andere, eine neue Richtung gelenkt. Daß es sinnvoll ist, von einer Kultur der gestaltenden Praxis im Klima zu sprechen, wie es Watsuji Tetsuro bereits 1961 tat, ist mir erst im Laufe der Zeit und dort, in einem anderen Klima, bewusst geworden.

Architektur, Kunst, Innenräume und Kleider-Mode aus Vergangenheit wie Gegenwart können, wenn sie phantasievoll und gewitzt, schön und rabiat dauerhaft sind, intensive Gefühle von Lebendigkeit, sinnlichem Genuss und klarere Vorstellungen von unserer Welt erzeugen. Ich wünsche mir sehr, daß zukünftige Texte für diese Fähigkeiten einen Resonanzraum bilden.